Die Geschichte eines Kriegers 3: Die Bräuche meines Volkes

Sicher werdet Ihr Euch schon zu Beginn meiner Worte gefragt haben, wie es kam, dass ich mit 37 Kriegerinnen ins Feld zog und nicht mit 37 Kriegern. Eine Frage, die eine Reihe wichtiger Chronisten beschäftigen wird. Es wäre mir also ein leichtes Euch zur Geduld zu mahnen und auf die gängigen Erklärungsversuche der großmäuligen Geschichtsschreiber zu verweisen. Doch würde dies meinen bisherigen und weiteren Schilderungen nicht gerecht werden. Deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als Euch die Wahrheit zu schildern, so wie es mir mein Großvater erzählte, als ich ihn bat, mir zu erklären, warum alle meine Altersgenossen nur einen Arm und zwar den linken besitzen. Ich habe schon erwähnt, dass mein Volk nicht allzu weise ist. Um die Wahrheit zu sagen: Es ist ein Haufen ausgemachter Idioten. Das war auch zur Zeit meiner Geburt so. Dies müsstIhr wissen, damit ihr die Schilderungen meines Großvaters verstehen könnt. Das Leben in meiner Heimat lief seinen Lauf. Die Frauen bestellten das Feld, versorgten die Kinder und die Alten, machten das Haus und bereiteten das Mahl für ihre Gatten vor. Diese wiederum gaben vor, das Vieh zu hüten und sich auf bevorstehende Kriege vorzubereiten. Wer unser Volk kennt, weiß, dass weder das Hüten des Viehs Arbeit bereitet – wir hatten in der ganzen Geschichte unseres Volkes nur drei Ziegen, die zudem noch blind und fußlahm waren  – noch das Kriegführen unser Geschäft ist. Wenn es Streit mit benachbarten Völkern gibt, so erledigten das in der Regel angeheuerte Söldner, denen wir Vieh versprachen. Da die meisten die Feldzüge nicht überlebten ein gutes Geschäft. Wer zurückkam und seinen wohlverdienten Sold verlangte, wurde kurzerhand geköpft. Auch so ein Brauch. Wie dem auch sei; in diesem friedlichen Jahr meiner Geburt landete ein Wanderschamane in unserem Dorf. Wie es der Brauch verlangt, wurde er zu Kost und Logis eingeladen und durfte sich auch bei den Jungfrauen bedienen. Was aufgrund der Nasen und Ohren nicht jedermanns Sache ist. Der Wanderschamane sah nur einen Ausweg: Er sagte die Zukunft mit Hilfe der Knochen einer Katze voraus. Er warf sie in den Himmel, ließ sie in den ockerfarbenen Staub fallen, umkreiste sie, murmelte dabei geheime Formeln und sagte schließlich: Die Rechten unter den Erstgeborenen werden Euch den Weg weisen. Was für sich genommen sicher meist stimmt. Nun war es aber so, dass zum Anlass der Weissagung eine Menge getrunken wurde. Mit den entsprechenden Folgen. Als am nächsten Morgen der Wanderschamane das Dorf verlassen, machten sich die Klügsten und Weisesten daran, sich der Weissagung zu erinnern und so wurde die recht vernünftige Weissagung des Schamanen etwas entstellt: Die Rechten der Erstgeborenen werden Euch den Weg weisen. Was zwar recht nah am Original war, aber nicht ausreichend, um das folgende zu verhindern: Unsere Ältesten und Weisen wollten den Rat in die Tat umsetzen. Nach reiflicher Überlegung und Diskussion wurden den männlichen Nachfahren meines Jahrgangs die rechten Arme abgehackt. Nicht jeder der kleinen Jungen überlebte die feierliche Zeremonie, die mit dem Gemetzel einherging. Die, die überlebten hatten fortan nur noch den linken Arm zur Verfügung. Die abgehakten Gliedmaßen hingegen fanden schnell eine Verwendung in der Wortgetreuen Umsetzung der verballhornten Weissagung. So kam es, dass die Wege meiner Heimat mit kleinen Kinderarmen geziert sind, die als Wegweiser dienen. Ich selbst entkam dem Massaker nur, weil mein Großvater behauptete, ich sei ein Zweitgeborener. Was zwar nicht stimmte, sich aber auch nicht widerlegen ließ. Es ist klar, dass Einarmige nicht recht geeignet sind, um Schwert und Schild zu kämpfen. Dies kam den gleichaltrigen Mädchen zu gute, die zu stattlichen Kriegerinnen heranwuchsen. So wie Vaduta.

– Hilf mir auf den Gaul du nichtsnutziger Tölpel. Mir ist übel.

Vielleicht auch um dem Gesagten mehr Gewicht zu verleihen kotzt Vaduta vor meine Füße.

– Glotz nicht so, oder willst du das etwa aufwischen.

Ich lass mir nichts anmerken und Halte ihr meine Hände als Stufe hin. Schließlich ist sie die letzte meiner Wegbegleiterinnen und das verbindet.

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