Ludmillas Zustand verschlechtert sich zunehmend. Mittlerweile ist Maria wieder da und wir versuchen alles, was uns einfällt bzw. was wir in den medizinischen Datenbanken finden. So reichhaltig das Angebot ist. Es bleibt nutzlos. Ludmilla wird von ihrem eigenen Immunsystem zerfressen und wir können nur zusehen, wie sie verschwindet. Erst jetzt fällt mir ein zu fragen, wann sie mir dem Kühlmittel in Berührung gekommen ist. Maria kann mir nur en paar Vermutungen servieren:
„Ludmilla war ja bei der Reparatur dabei. Da gab es sicher eine Gelegenheit. Immerhin ist sie immer sehr grob mit der Technik umgegangen. Denke mal, dass das so üblich ist in russischen Raumfahrerkreisen. Sie hat das zumindest mal im Scherz zu mir gesagt.“
„Scherz? Ludmilla ist mir nie wie ein Scherzbold vorgekommen.“
„Doch, doch. Sie hat durchaus Humor. Nur ist sie auch sehr ehrgeizig, da passt Spaß nicht ins Leben.“
Italienische Weisheiten, vorgetragen am Sterbebett einer Russin. Toll das. Mir fällt nichts mehr ein und ich halte die Fresse. Mir fallen kurz die Augen zu. Maria weckt mich wieder.
„Glaube, es ist vorbei.“
Ganze sieben Stunden hat Ludmillas stiller Kampf gedauert. Ob sie was davon mitbekommen hat? Wenn ich den Apparaten glauben schenke, dann ist das ohne ihr Bewusstsein abgelaufen. Zumindest war Ihre Hirnaktivität zu schwach und chaotisch, um den Schluss zuzulassen, sie habe noch mal ihr Leben Revue passieren lassen. Wenn es die Leserin beruhigt: die Diagnosekiste hat keine starken Schmerzen registriert. Deswegen lag Ludmilla so still da. Erstaunlicherweise geht mir ihr Tod nahe. Sie war nicht gerade mein Typ, aber aus irgendeinem Grund war sie mir nicht unsympathisch. Vielleicht habe ich sie sogar gemocht. Maria hockt neben ihr und versucht beherrscht zu wirken. Aber selbst ein Blinder mit Krückstock würde erkennen, dass sie gleich losflennt wie ein Schlosshund. Ich traue mich nicht, meine Hand allzu fest auf ihre Schulter zu legen. Wer weiß, was sie dann mit mir anstellt. Also berühre ich sie leicht. Maria zuckt kurz zusammen, dann legt sie ihre Hand auf meine und drückt sie.
„Danke Doc, ich muss gleich tierisch losheulen und ich möchte nicht, dass du mich so siehst. Oder sonst jemand. Gib mir bitte eine viertel Stunde. Dann kannst du den anderen Bescheid sagen.“
Ich antworte nicht; drücke aber kurz zurück. Dann lösen sich unsere Hände. Denke mal, dass es nicht viel gibt, was mehr Einverständnis ausdrücken kann, als diese kleine Geste. Wir lassen unsere Hände los und ich verpisse mich in meine Bude. Werd Captain Miller also ein bisschen verspätet Meldung geben. Der wird vielleicht im Dreieck springen deswegen. Vielleicht auch nicht. Ist mir egal. Ich greife in meinen Büroflaschencontainer und gieße mir ein Glas Scotch ein. Während ich den Inhalt hin und her schwappen lasse fällt mir ein, dass das falsche Getränk ist. Ich stelle das Glas beiseite und angele mir einen russischen Wodka aus dem Vorrat. Hat Ludmilla eigentlich getrunken? Nicht oft auf jeden Fall. Kann mir sogar vorstellen, dass sie auch in ihrer Heimat mit steifem Rücken da saß und „Njet“ gesagt hat, wenn ihr einer ein Gläschen anbot. Oder auch nicht. Vielleicht hat sie ja gesoffen wie ein russischer Schriftsteller. Wer weiß das schon. Ich mache das Wasserglas bis oben hin voll und kippe es in einem Zug runter. Danach bin ich zehn Minuten am Husten. Passt doch. Auf geht’s zum Rapport.