Ich habe keine Lust auf die Tafelrunde und setze mich stattdessen an meinen Rechner. Chateau Isidor – Welches Jahr war es gewesen? Ich versuch mich an die Etiketten zu erinnern. Fehlanzeige. Krieg noch nicht mal die Farbe zusammen. Auf gut Glück gebe ich die Weinmarke ein. Nach der dritten Auflistung nutzloser Links geh ich in die Küche. Meine Verachtung für Alkohol ist etwas abgeflaut und auf dem aktuellen Etikett werde ich sicher was finden, das mir weiter hilft. Der Rotwein ist im Lagerraum. Erst heute geht mir auf, dass der Raum riesig ist und mehr einem mittleren Supermarkt gleicht. Sogar Einkaufswagen stehen bereit. Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs stehen ordentlich in den Regalen bereit. Die Temperatur ist etwas niedriger als im übrigen Schiff – wegen der Lebensmittel. Irgendwo gibt es hier auch ein Gewächshaus, aber das hat mich bisher nicht weiter interessiert. Ich war zwei- oder dreimal dort, aber es ist dann doch kein richtiger Garten. Alles geht vollautomatisch. Sicher hätte der ein oder andere von uns gerne gegärtnert. Aber das wäre zu riskant wegen der Keime. So hat es zumindest der Ausbilder in Marseille erzählt. Er sagte tatsächlich nur „… wegen der Keime!“ und damit war die Sache für ihn erledigt. Stattdessen haben sie uns eine kleine Parkanlage spendiert. Da dürfen wir ein bisschen Hand anlegen, Smerg ist sehr oft dort. Er hat ein kleines Beet mit Bonsais und zupft dort stundenlang rum. Niemand kann den Unterschied zwischen davor und danach erkennen. Aber ihm macht das nichts aus. Er zupft und schweigt. Vor dem Weinregal stoße ich gegen seinen Rücken. Er hockt vor den Flaschen und sucht anscheinend etwas anderes als Chateau Isidor. Ich freue mich ihn alleine zu treffen. Schließlich betrachte ich ihn seit unserem Besäufnis auch ein bisschen als Freund. Gleichzeitig hab ich ein schlechtes Gewissen, weil ich die Deutsche an mich rangelassen hab. Andererseits geht es ihn auch nichts an.
„Stimmt!“ prustet der Däne raus. „ich würde sie auch nicht von der Bettkante stoßen!“ Er grinst mich an. „Sach mal gibt’s hier nix anderes als diesen vermaledaiten Isidor. Hängt mir langsam zum Hals raus.“
Wir fangen beide an, die verschiedenen Kartons aufzureißen. Ich öffne sie vorsichtig, damit sie nicht ihre ganze Stabilität verlieren, Der Däne reißt einfach die Deckel ab, um ein bisschen schlauer zu werden. Ich sehe, dass es ihm Spaß macht. Seit dem er seien Ausfall über die dänischen Spiegeleier hatte ist er richtig leutseelig geworden. So als ob ihm eine schwere Last abgenommen wurde. Werde das mal irgendwann zur Sprache bringen. Momentan muss ich die Weinfracht retten.
„Mach mal halt! Da hinten ist was anderes.“
Ich habe einen Karton im Auge, der offensichtlich keinen Isidor enthällt. „Crux Bel Ami“ steht fröhlich auf dem augeklebten Etikett. Ich bohre einen Finger in die Kartonhülle und ziehe ihn hervor.
„Meinste der gefällt dir besser?“
Smergs Pranke greift nach den Karton, öffnet ihn, zieht eine Flasche raus und schlägt den Kopf am Regal ab. Sein Finger fährt kurz über die Bruchstelle, dann hält er die Flasche über seinen Mund und lässt es laufen. Das ganze dauert keine zwei Seekunden.
„Ist ok! Nicht unbedingt besser als Isidor, aber mal was anderes. Gefällt mir der schöne Freund!“
Wie lange es wohl dauert, bis man einen Menschen richtig kennt. Smerg merkt meine Verwunderung.
„Ich war auch mal jung! Das hier hab ich in Kristianstadt gelernt. Konnte man die Mädels mit beeindrucken.“
Er hält mir die Flasche hin.
„Pass auf deinen Lippe auf!“
Doch es ist zu spät. Ich hab die abgebrochene Öffnung an den Mund gehalten und zu dem Wein gesellt sich auch ein bisschen Blut. Smerg hält mir ein Taschentuch hin.
„Hätte ich dir früher sagen sollen! Sorry!“ trotzdem grinst er übers ganze Gesicht. „Na, ich werd mal beim Isidor bleiben!“
Mir ist klar, dass der Däne nicht in dem Zustand ist, sich über die derzeitige Situation zu unterhalten. Er sieht ganz klar nach feiern aus.
„Ach komm, lass uns mal in den Park gehen: Mir ist momentan nicht nach dem ganzen Haufen. Nimm du ruhig deinen Isidor. Ich bin versorgt.“
Ohne weiter Umstände klemmt er die Kiste Bel Ami unter seinen Arm und stapft los. Ich stapfe hinterher. Der Gedanke an Rotwein im Park erinnert mich an meine Jugend und noch heute gibt’s für mich kaum was schöneres als Rotwein im Park. Geistesgegenwärtig raffe ich noch Käse und Brot zusammen. Meinen Zechkumpanen treffe ich vor seinem Bonsaibeet.
„Weißt du, dass der Viladings hier auch gerne gestanden ist? Er hat hier immer seine Augen gerollt und noch zwei drei andere komische Sachen. Hab ihn aber nie gefragt, was das soll.“
„Hat er den auch Gegärtnert?“
„Keine Ahnung, hab ihn nur hier gesehen; oder dich – lass mich mal überlegen.“
Smerg geht auf einen Ecke im Park zu, die für mich nichts Besonderes hat.
„Schau – hier war er auch mal.“
Wir schauen über ein kleines Zäunchen. Dahinter ist ein winziger Garten. Es ist mehr eine Miniaturausgabe eines Gartens. Vielleicht ein paar Quadratmeter groß.
„Hast du das jemals zuvor gesehen?“
„Ja, dachte das hätten sie gemacht, damit der Inder sich nicht so einsam fühlt oder so…“
Smerg schaut mich ein bisschen ungläubig an.
„Du stellst dir wohl nicht allzu viele Fragen?“
„Stimmt ich bin nicht grade neugierig.“
Smerg nickt: „Nee, das hat niemand für den Inder angelegt. Das muss er selbst gemacht haben. Hat mich aber auch nicht weiter interessiert. Hab ja mein eigenes Beet und wenn er mir das hier zeigen wollte, dann hätte er das sicher auch gemacht.“
Er nimmt einen Schluck und schaut mich erwartungsvoll an. Mir fällt ein, dass ich eigentlich den Tod des Inders untersuchen wollte. Jetzt steh ich hier mit einem riesigen Dänen, der dazu auch noch Schlagseite hat.
„Smerg, sei mir nich böse, aber ich glaub ich werd mir das mal anschauen und du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mir nicht in den Garten folgst, sondern die Augen offen hältst. Ich möchte das erst mal allein machen.“
Eine idiotische Ausrede, schließlich wird jeder Quadratmillimeter des Schiffes überwacht, aber Smerg geht darauf ein. Er weiß anscheinend selber, dass er die Hucke voll hat und hier nur Unsinn anstellen würde.