Die Ebene 26


Von den Gesprächen beim Essen bekomm ich kaum was mit. Es gibt sich auch niemand Mühe mich einzubinden. Entweder aus Rücksicht oder aus Verachtung. Ben grinst nach wie vor unverschämt rüber und erzählt Anekdoten aus seiner Heimat. Captain Miller und Ludmilla schaufeln das Menu missmutig in sich hinein. Miller aus echter Sorge, Ludmilla aus Gewohnheit. Ich ertappe mich dabei, wie ich ab und an zur Deutschen rüberschiele, kann ihren Blick aber nicht fangen. Gut, vielleicht schauen wir ja abwechselnd. Ein Blick in die Gesichter der anderen zeigt mir, dass sie gut zugelangt haben. Selbst der große Däne ist rosiger im Gesicht als sonst. Nur Svendes Leber lässt trotz Dauerbeschuss keinen Alkohol ins Blut. Vielleicht gibt es da ja auch so was wie ein Gleichgewicht. Klar die Deutsche ist auch noch nüchtern. Sie gehört zu den Menschen, die einen Teller lehr kriegen ohne dass man sieht wie. Es gibt kein Schmatzen, kein Gabelkratzen, kein Sägen oder Gelöffel. Das Essen VERSCHWINDET einfach. Meine Gedanken kehren zurück zur letzten Nacht. War die Erinnerung daran heute Morgen noch so präsent wie Bens dummes Geschwätz bei Tisch, so legt sich mehr und mehr ein Schleier darüber. Millers leicht belegte Stimme reißt mich aus den Gedanken.

„So, lasst uns mal zur Sache kommen wir sind ja nicht zum Völlen hier. Möchte also erst mal mein Bedauern über das Verscheiden unseres geschätzten indischen Kollegen ausdrücken. Kann gar nicht sagen, wie sehr sein Abschied schmerzt. Habe mir eine kleine Laudatio zurechtgelegt, die ich Ihnen und Euch vortragen möchte. Werde ein kurzes Gebet anschließen, weil mir als rechten Christen danach ist. Auch wenn ich mir nicht sicher bin ob unser lieber Viladings das gutheißen würde. Glaube er war Atheist, aber unter Gottes Herrschaft sind ja alle gleich…“

Au weia! Prosecco und Bordeaux können ganz schöne Schäden verursachen und mit einem von diesen konfrontiert uns anscheinend Captain Miller. Ich denke es reicht, wenn wir das ertragen müssen und schütze deshalb die Leserin vor den geistigen Leistungen unseres Captains. Nach gut einer viertel Stunde ist es vorbei und Miller braucht einen Schluck Grappa. Man hat an alles gedacht.

„Jetzt zu Ihnen Doc. Was hat ihre Autopsie ergeben?“

Damit habe ich gerechnet. Das Vortragen medizinischer Ergebnisse ist ein Heimspiel und ich spule los: 

„Todesursache war der Bruch der Wirbelsäule. Zweiter und dritter Halswirbel sind vollkommen zerschmettert. Infolgedessen setzte die Versorgung des Gehirn aus. Den Todeszeitpunkt kann ich erst genau festlegen, wenn ich die Laborergebnisse ausgewertet habe. Es gab keinerlei Spuren auf Fremdeinwirkung. Weder Hautabschürfungen, noch Blutergüsse. Wie der Inder sich den Hals ohne fremde Hilfe gebrochen haben kann, ist mir ein Rätsel. Tatsache ist aber, das alles andere mehr oder weniger ausscheidet. Ich bin mir zwar sicher mit meiner Aussage, aber es können immer noch Ergebnisse oder Beobachtungen auftauchen, aufgrund derer ich mein Urteil verändern muss.“

Ich liebe den letzten Satz, heißt der doch, dass ein riesiges Hintertürchen offen steht, falls ich Mist gebaut hab. Die anderen starren mich an.

„Ja und? Ist das alles?“

„Vorläufig ja!“

Wie schon den ganzen Tag, hab ich mich beim Saufen zurückgehalten und bin entsprechend nüchtern. Die anderen plappern erregt los und versuchen so ihrer Aufregung Herr zu werden. Woran ist der Inder gestorben? Halswirbel zerschmettert, wie geht denn das? Miss Superhirn sagt nichts. Sie schaut kurz zu mir hinüber und ich bin mir nicht sicher, ob sie mich triumphierend anschaut und wenn, was das zu bedeuten hat. Sie steht wortlos auf und verlässt den Raum. Ich widerstehe der Versuchung ihr zu folgen und gehe stattdessen zu Captain Miller.

„Wollen wir das jetzt der Zentrale melden?“

schon in der Mitte der Frage weiß ich, dass es hoffnungslos ist. Millers Blick ist glasig und er grient zu mir hoch:

„Setzen Sie sich doch! Sie wissen, dass ich große Stücke auf Sie halte,“ fährt er fast flüsternd fort. Nicht, ohne mir das linke Ohr zu duschen. „Auch wenn Sie ein Gott verdammter Zivilist sind. Ich glaube an Ihre Loyalität. Nein wir werden das erst mal hier oben klären. Wenn die da unten Wind davon bekommen, brechen die noch die Mission ab. Das sind eben alles Sesselpupser. Die haben keinen Mumm in den Knochen. Kennen nur ihre Paragraphen und Regeln…“

„Heißt das, dass Sie auch den Tod Viladings verschweigen?“

„Was heißt verschweigen. Wir werden es ja bekannt geben. Doch erst wenn wir unserer Mission erfüllt haben. Es geht hier um mehr als um ein indisches Physikgenie. Das ist eine Mission, die über Wohl und Wehe der Menschheit entscheidet. Die lass ich mir nicht aus der Hand nehmen.“

„Hören Sie doch auf damit, wir machen hier einen kleinen Ausflug zu zwei Sternen, die ein merkwürdiges Phänomen zeigen. Mehr nicht und auch nicht weniger! Wissenschaftlich hoch interessant, aber mit dem Schicksal der Menschheit hat das nur wenig zu tun.“

„Meinen Sie? Na dann kommen Sie mal mit!“

Schwankend steht Miller auf und wankt in Richtung seiner Kabine.

„Sie denken sicher, ich führe Sie ins Zentrum der Macht? Dachte ich vor ein paar Tagen auch noch. Bis ich eine Nachricht von ganz oben bekam.“ Er lacht, sicher weil ich ihn etwas schräg anschaue. „Nein! Der heilige Geist ist nicht in mich gefahren. Ich meine die oberste Leitung. Der Präsident sozusagen!“

Ich weiß auch nicht warum, aber diese Militärfuzzis haben anscheinend ein großes Bedürfnis danach, ihre Umwelt mit Speichei einzudecken. Ich trete etwas zurück. Miller nimmt das als Zeichen, einen Schritt vorzutreten und mir fast ins Ohr zu beißen:

„Kommen Sie!“

Ich reibe mir die geduschte Gesichtshälfte und folge ihm zu seinem Computer. Miller tippt energisch darauf herum und endlich leuchtet eine Textzeile auf.

„Miller, ab sofort hat die Deutsche das volle Kommando. Allen ihren Befehlen ist bedingungslos Folge zu leisten. Bauen Sie keinen Scheiß und halten sie die Eierköppe in Schach. Um die Russin und ihre Gespielin kümmern wir uns.“

Miller merkt, dass ich über den Jargon etwas erstaunt bin,

„liegt an dem Dechefrierprogramm. Man kann sich individuell einstellen. So wie die Sprache bei einem Navi zum Beispiel. Ich mag es lieber ein bisschen direkt, aber wenn Sie wollen kann ich wieder auf militärischen Standardjargon umschalten.“

Er ist schon dabei in den Einstellungen des Programms zu fummeln, doch ich unterbreche ihn

„Lassen Sie, ich versteh das so auch besser. Bloß was hat das zu bedeuten?“

„Schauen Sie, wir haben ja hier Aufgabenteilung. Ich bin der Chef des Schiffes und der Crew. Die Deutsche ist Chefin der Wissenschaftler: Sie sagt, was geforscht wird, ich sage, wohin das Schiff fährt. Soweit alles klar?“

„Nicht so kompliziert.“

„Und jetzt diese Scheiße! Damit ist sie absolute Herrscherin über das Schiff!“

„Hm…“ mach ich erst mal.

Mir fällt nichts ein. Wie normal oder bekloppt das ist, kann ich nicht beurteilen. Allerdings gefällt mir der Gedanke nicht, dass meine liebe Miss Superhirn soviel Macht bekommt.

„Was wollen Sie jetzt machen?“

„Erst mal gar nichts! Doch wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Kleine nicht richtig tickt. Vielleicht macht das nichts. Bisher hatten wir ja keine Probleme. Kann also sein, dass alles glatt läuft. Doch es gefällt mir eben nicht. Und unternehmen kann ich nichts. Mir sind die Hände gebunden. Aber ich kann versuchen mir einen Reim draus zu machen. Überlegen Sie mal. Warum bekommt so eine Wissenschaftstusse das Kommando über so ein Schiff. Warum werde ich zum Steuermann degradiert? Was kann so wichtig sein? Ich hab da ein bisschen recherchiert und was finde ich. Unsere kleine Pussi ist mit der wichtigsten Formel der Menschheit beschäftigt. So steht es zumindest in einem der Gutachten, dass immer in solchen Fällen eingeholt wird. Waren mir bisher schnuppe die Unterlagen, aber jetzt ist das etwas anderes. Wenn Sie dann mal überlegen, dass dies die teuerste Weltraummission ist, die je durchgeführt wurde, dann wird selbst Ihnen klar, dass das hier keine Butterfahrt ist.“

Ich nicke, drehe mich aber erst mal nach einem Waschbecken suchend um, stürze unauffällig darauf zu und wasche mir Millers Speichel vom Gesicht.

„Harter Tobak!“ stoße ich aus meinem nassen Gesicht hervor.

Miller reicht mir ein Handtuch. Ich staune, doch bin ich auch froh. Es ist frisch. Vielleicht habe ich mich in Miller getäuscht. So blöd ist der gar nicht. Im Gegensatz zu mir. Es hat mich nie gewundert, warum all diese Militärfuzzis und Generäle rum gewuselt sind und auf wichtig gemacht haben. Dachte, das sei eben so in der Raumfahrt.

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