Die Ebene 18


„Na, haben wir einen über den Durst getrunken?“

Sie ist nur zwanzig Zentimeter von mir entfernt. Ich versuche meinem Blick nicht allzu wirr wirken zu lassen. Doch sie schaut mich genauso an, wie sie mich immer anschaut. Wie viele Insekten sie wohl schon aufgespießt hat. Fräulein Tausendschön sieht Atem beraubend aus. Wie aus einer anderen Welt. Irgendwie scheint sie sich zurecht gemacht zu haben. Mir wird nicht ganz klar woran das liegt.

„Hai!“ lalle ich und hebe unbeholfen meine Hand zum Gruß.

„Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Lust auf ein Glas Sekt hast – Zur Feier des Tages meine ich. Aber du hast anscheinend schon gefeiert.“

Mein Gehirn arbeitet fieberhaft. Was hat sie vor? Warum fragt sich mich? Warum nicht einen von der Crew? Ben zum Beispiel! Ich grinse in mich rein. Nein sie fragt mich. Ich schüttele den Kopf.

„Nee das war nur ein kleiner Drink. Sekt? Haben wir keinen Champagner dabei?“ stammele ich und merke, wie ich schlagartig nüchtern werde.

Gleichzeitig ist mir alles egal. Vor mir steht der schärfste Körper, den sich die männliche Phantasie ausdenken kann und ob Hologramm oder Fleisch und Blut. Ich bin nicht mehr Herr über mich selbst. Irgendein Steinzeitprogramm hat die Leitung übernommen. Sorry, wenn das nicht allzu glaubwürdig klingt. Aber so ist das nun mal. Wahrscheinlich sind Frauen uns Männern deswegen überlegen. Immerhin sind Männer das ältere Modell und da hat die Evolution oder der liebe Gott Zeit gehabt, in paar Verbesserungen einzufügen. Naja, nehmt das nicht zu ernst. Mit meinem Hirn ist zurzeit kein Staat zu machen. Ich rappele mich so elegant wir möglich hoch und komme gut zwanzig Zentimeter vor ihr in den Stand. Das ist reichlich wenig, vor allem wenn man bedenkt, dass wir beide in meinem Bad stehen. Ich kann sie riechen. Irgendwas Edles schwebt um sie. Es ist kein Parfüm. Mir wird ein bisschen weich in den Knien und ich überlege, wie ich meine Schnapsfahne am besten kaschiere. Sie lächelt mich an, wie meine erste Liebe:

„Natürlich Champagner! Eine gute Idee! Ich glaub, das ist sogar welcher!“

Sie hält die Flasche in meine Augenhöhe und grinst verschmitzt. Kein Wunder das mein Hirn so weich ist wie eine überreife Tomate. Vor mir steht nicht die eiskalte Miss Superschlau. Habs doch gleich gewusst, dass sie nicht so ist wie sie tut. Das ist alles nur ein Schutzmantel, den sie sich wegen ihrer Schönheit zulegen musste. Möchte nicht wissen, wie oft sie blöd angebaggert wird. Täglich, stündlich, minütlich. In Wirklichkeit ist sie ein schutzloses Wesen, dass Freunde sucht. Ich will ihr Freund sein und mein Hirn ist jetzt nur noch als Bregenwurst zu gebrauchen. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen und trösten. Doch was ist, wenn sie das missversteht. Schließlich steht vor mir kein ausgekochtes Luder sondern eine Schutzbedürftige.

„Lass uns doch nach vorne gehen, da hab ich Gläser. Es ist schön, dass du zu mir gekommen bist.“

Aber kein Wunder! Du bist vielleicht der einzige, der mich versteht.“

Ich muss mich beherrschen, dass ich nicht wie ein Idiot mit den Kopf auf und ab wackel, während ich ihr hinterher dackel.  Sorry, liebe Leserin, das ist so bescheuert, dass es stehen bleiben muss. Gibt es doch einen guten Einblick in meine Gedankenwelt zum Zeitpunkt des Besuches.

„Setz dich doch, ich hol nur grad die Gläser.“

Unbeholfen stolpere ich zum Schrank, öffne die Tür und grabbel zwei Gläser aus dem Klappverschluss. Fast wäre ich dabei umgefallen. Sie lacht laut auf. Nicht hämisch oder spöttisch, sondern so als hätte ich etwas besonders tolles gesagt.

„Na, so klein war der Drink nun doch nicht? Ich bin da immer ein bisschen vorsichtig, wenn ein Skandinavier die Flasche auf den Tisch stellt.“

Ich grinse sie an. Nein böse ist sie nicht. Ich schaffe die Gläser heil auf den Tisch.

„Naja, kenn mich nicht so mit Schnaps aus. Aber Smerg ist echt ein Lieber.“

„Ja, ich mag ihn auch!“

Für einen Augenblick wird es eiskalt im Raum. Oder besser gesagt mir. Irgendwas in mir schreit auf. Sie lügt! Schau ihr doch in die Augen! Es sind die Augen einer Schlange! So falsch! Sie kennt keine Freunde, sie kennt nur sich! Doch ich sehe nur zwei strahlend blaue Augen. Ein bisschen ausdruckslos vielleicht. Doch kalt. Nein, nein nein. Ihre Augen lachen mich an. Ich weiß es genau. Sie ist auch eine der Guten! Ich habe mich getäuscht. Später werde ich mich immer wieder über diese Szene wundern, doch jetzt bin ich gefangen und nestele am Korken der Champagner Flasche rum. Es macht kurz plopp, ein bisschen von dem Gesöff kleckert über meine Finger und ich gieße unsere Gläser voll. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie ihre Raumfahrklamotten gegen Zivil getauscht hat. Wer denkt, sie sitzt in irgendeinem scharfen Fummel vor mir, der täuscht. Das wäre zuviel gewesen, hätte sie nur ordinär werden lassen. Nein, sie ist lässig gekleidet. Ein einfaches Kleid, das ihre Formen weder betont, noch verschleiert. Es gefällt mir. Erinnert mich an Sylvia. Sie ist in dem Stil gekleidet, wie ich Sylvia oft gesehen habe, als sie aus dem Wochenende zum Training kam Dieser Gedanke bringt mich ein bisschen weg. Sie holt mich zurück:

„Na dann Prost!“

Wir stoßen an. Ich vergesse das ungute Gefühl sofort und hänge an ihren Lippen.

„Ich weiß, dass ihr mich beäugt, wie eine Außerirdische.“

Dummes Glotzen meinerseits.

„Ich bin das gewohnt. Das war schon im Kindergarten so.“

Sie lacht, ich lach zurück.

„So ist das, wenn du hoch begabt bist. Erst wollen alle deine Freunde sein, dann stellen sie fest, dass sie dir nicht folgen können. Ich meine ich hab mir wirklich Mühe gegeben. Hab übersehen, wie beschränkt die alle sind.“

Verständnisvolles Nicken.

„Naja, will da keine lagen Geschichte draus machen.“

Nee, noch so eine Supergeniegeschichte kann ich auch wirklich nicht gebrauchen.

„Auf jeden Fall bin ich hier gelandet, weil man mir sagte, ich sei die einzige, die die Mission durchziehen kann.“

Alarm – Alarm, der Inder hat was anderes erzählt.

„Ich weiß unser indischer Freund erzählt überall, ich hätte mich zur Leitung der Mission hoch geschlafen!“

Sie lächelt traurig und schaut mich traurig an. Was soll ich denn da machen? Ich bin doch kein Monster! Natürlich schau ich tröstend zurück und mache ein empörtes Gesicht.

Wusste ich gar nicht.“ Log ich und bereute es sofort. „Also ich mein, der Viladings schwätzt den ganzen Tag irgendein Zeug.  Da achtete doch niemand drauf.“

Na egal, die Wahrheit ist auf jeden Fall, dass man mich drei Wochen nach dem Schwerereignis zur NASA geholt hat. Den Rest weißt du ja!“

Und ob, nicke ich. Nur wenig später war ich mit von der Partie. Ich war der Zweite! Warum hab ich das nie hinterfragt. Ich war kein Wissenschaftler und kein Astronaut, hatte mich aber sofort um die Mitreise beworben. Immerhin konnte ich vorweisen, dass ich das ganze Ereignis kannte und der überlebende Braunschweiger hat sicher ein bisschen nachgeholfen.

„Ich war es übrigens, der dir das Ticket besorgt hat! Fritsche kannte ich aus der Studienzeit. Er war der einzige, der mir nicht nachstellte. Wir waren so was wie Bruder und kleine Schwester. Du warst meine Bedingung mit zu machen!“

„Warum?“ schießt es aus mir heraus.

„Naja Fritsche mochte dich und irgendwer musste schließlich mit. Du warst der Einzige aus der ganzen Journallie, der überhaupt irgendwelche Referenzen hatte. Außerdem kanntest du die Ereignisse.“

Woher wusste sie davon? Irgendwo in meiner Hirntomate kämpften wohl ein paar Denkpartisanen. Sie wurden sofort niedergemäht; mit ihnen der kurze Zweifel.

„Dazu kommt, dass ich das Gefühl hatte, wir kennen uns von irgendwoher.“

Ich lächele. Mir ist es inzwischen Scheißegal, wie ich hierher gekommen bin. Was zählt, ist dass sie nur ein paar Zentimeter vom mir entfernt sitzt. Der Champagner schmiegt sich langsam auf den Aquavit und ich erreiche einen Zustand, der zwischen kotzübel und pudelwohl liegt. Sie redet auf mich ein, ich antworte, versuche witzig zu sein, bin es vielleicht sogar. Es ist herrlich. Zum Teufel mit Sylvia. Sie gefällt mir zwar tausendmal besser als Tausendschönchen, aber wer sitzt hier vor mir und trinkt Champagner mit mir. Eben! Ich schenke nach. Mist – leer. Ich bin langsam echt besoffen!

„Warte!“ sagt sie und beugt sich über den Kühlschrank. „Kaltes Bier!!! Das ist genau das was ich jetzt brauche. Dieses Blubberzeug hat mir nie geschmeckt.“

Ich griene sie aus den Augenwinkeln an. Sie gefällt mir immer besser. Es ist, als ob einem Drahtseilkünstler eine Ebene unter dem Seil gespannt wird. Sie stellt das Bier vor meine Nase und lächelt mich an. Ihre Hand streicht unvermittelt über meine Stirn.

„Du bist der erste Mann, der mir gefällt!“

Verdammt! Ich bin so voll wie eine Strandhaubitze und jetzt das. Später wird mir klar werden, dass ich vieles hätte voraussehen können, wenn ich nicht so besoffen gewesen wäre. Doch jetzt befinde ich mich im siebten Himmel. Sie beugt sich über mich. Es ist das letzte, was ich jetzt hier schreiben möchte. Vielleicht liegt das auch daran, dass es die Sicht auf alles weitere verändern würde. Zumindest halte ich die Schilderung der Ereignisse jener Nacht für verfrüht.

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Über dieebene

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