Die Ebene: 11

„Stimmt! Ich bin aus freien Stücken hier! Sie doch wohl auch?“

Ein heißer Pfeil trifft mein Herz – keine Angst, ist bildlich gemeint. Es ist blöd, erwischt zu werden und ich weiß nicht, wie lange Miss Hirn schon neben uns steht.

„Schau mal!“ versucht Sylvia die Situation zu retten und zeigt auf die Buchstabenkolonnen.

„Kannst du etwas damit anfangen?“

Die Deutsche beugt sich keinen Millimeter vor. Stattdessen verengen sich ihre Augen kaum merklich.

„Es ist ein Code, das ist klar! Doch kann ich mich damit nicht beschäftigen. Deswegen bist du an Bord.

Sie wartet erst gar nicht auf eine Antwort, sondern verschwindet so lautlos wie sie eingetreten ist.

„Shit! Ob sie was mitbekommen hat?“

 „Keine Ahnung! Und wenn, was macht das für einen Unterschied?“

Sylvia hat Recht. Tausendschönchen ist zwar durchgeknallt, aber nicht blöd. Sie weiß sicher, dass die ganze Bande hinter ihrem Rücken lästert.

„Sie müssen aufpassen!“

Der Inder gibt sich sein Stelldichein. Behutsam schiebt er sein Bäuchlein an mir vorbei und rollt mit den Augen. Ich kann das Weiße sehen. Nicht sehr appetitlich. Das macht er immer. Ohne dass es eine Zusammenhang zu den äußeren Umständen gibt, noch zu seinem Gemütszustand. Ich vermute, dass es eine Art Uhr ist. Kann das aber nicht belegen.

„Wissen Sie eigentlich, welchen Einfluss unser Genie hat?

Wir schauen ihn an.

„Um ehrlich zu sein, ich auch nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht bei dieser Mission dabei wäre, wenn sie es nicht gewünscht hätte. Es stimmt sicher, dass ich ein exzellenter Astrophysiker bin. Ohne Frage einer der Besten weltweit. Doch nur einer der besten. Es gibt einige, die mir das Wasser reichen können. Vielleicht sogar den ein oder anderen, der mir überlegen ist. Da stellt sich doch die Frage, warum gerade ich dabei bin. Ich habe nachgeforscht. Nicht einfach in dieser Szene, in der jeder jeden kennt. Aber bei ihren Qualitäten,“ hier macht er ein lüsternes Gesicht und zeichnet mit dem Mittel- und Zeigefinger seiner rechten Hand eine weibliche Silhouette in die Luft, „ist es nicht schwer zu raten. Das habe ich getan. Und siehe da, es gibt praktisch keinen aus dem Besetzungskomitee, der nicht mit ihr geschlafen hat. Woher ich das weiß? Nun, auch ich habe meine Geheimnisse. Aber ist auch egal. Die Frage nach dem „Warum gerade ich oder Ihr?“ hat das nicht beantwortet. Wir wissen nur, sie setzt ihre Wünsche durch.“

„Darüber habe ich mir auch meine Gedanken gemacht. Ich meine, die Kryptographie ist mein Hobby. Ich bin Übersetzerin. Was mache ich im All? Aber dann hab ich es schnell aufgegeben. Ich meine, wenn dich jemand fragt, willst du auf eine Expedition ins Universum, dann fragst du doch nicht lange warum?“

Das geht an mich. Gut – ich bin von Anfang an dabei. Habe die Schwerkraftmessung  bei Braunschweig besucht und dort auch gefilmt. Dann noch ein paar Fachartikel, ein paar Fotos. Alles in allem ein gutes Geschäft. Konnte mich sogar ein bisschen auf den Lorbeeren ausruhen. Das war ganz gut. Schließlich bin ich noch nicht so lange dabei. Eigentlich bin ich Mediziner. Spezialisiert auf den Tod. Ich arbeitete von Anfang an in der Forensik. Anderen Menschen das Leben retten ist nicht so mein Ding. Da läuft zu viel schief. Sind sie aber Tod, kannst du Mist bauen ohne Ende. Da kräht kein Hahn nach. So begründete ich Freunden gegenüber meine Wahl. Diese nickten  und schwiegen. Wenn ich ehrlich bin, war ich richtig gut in meinem nekrophilen Job. Doch eines Tages ging es nicht mehr. Ich konnte den Geruch des Formalins nicht ertragen. Die kalten Körper. Andere saufen sich in dieser Situation zu Tode. Ich wurde Schreiberling.

„Als ich erfuhr, dass diese Expedition geplant war habe ich mich darum bemüht, Teil zu nehmen. Ich glaub, ich hab fast eine Tonne Papier voll geschrieben. Könnt ihr alles nachlesen!“ rechtfertige ich mich.

Diesmal verdreht Sylvia die Augen. Nicht so kunstvoll wie der Inder. Der verschont mich dagegen. Stattdessen zeigen seine Augen einen mitleidigen Ausdruck. Ich gebe mich geschlagen:

Ich hab keine Ahnung, warum ich dabei bin. Aber spielt das denn eine Rolle? Sagt mir liebe mal, was wir da draußen gesehen haben. Keine Spiegeleinummer bitte.“

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tv-autor, journalist, filmemacher
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